Kommentar
Langzeitarbeitslose
Der Fisch stinkt vom Kopf
Langzeitarbeitslose sind für die Arbeitsverwaltung aussichtslose Fälle. Zu diesem Schluss kommt Ulrike Hahn von der BAG IDA. Sie kritisiert: "Die Politik hat offenbar Kraft und Willen verloren, den Menschen mit den geringsten Chancen am Arbeitsmarkt vernünftige Perspektiven in Arbeitsleben und Gesellschaft zu eröffnen."
Die Bundesregierung hat die Förderung von Langzeitarbeitslosen zurückgefahren. Das muss sich ändern, finden Caritas und IDA (Integration durch Arbeit) und starten die Aktion "Stell mich an, nicht ab!".Foto: Caritas/IDA
Kürzlich sickerte aus dem Bundesrechnungshof die Kritik, Langzeitarbeitslose würden von den Arbeitsagenturen weitaus schlechter betreut als Kunden mit guten Vermittlungsaussichten. Damit scheint es amtlich: Langzeitarbeitslose gelten selbst in der Arbeitsverwaltung als aussichtslos und zu vernachlässigen. Doch der Fisch stinkt vom Kopf!
Eigentliches Problem ist eine Arbeitsmarktpolitik, die von einer schweren Gedächtnis- und Sehstörung befallen ist. War ein Kernpunkt der vormaligen "Hartz-Reformen" die rasche und nachhaltige Arbeitsmarktintegration von langzeitarbeitslosen Menschen ("Fördern und fordern" ), zeigt sich nun, dass diese Reformen für die arbeitsmarktfernen Menschen nicht den gewünschten Erfolg brachten. Aus kurzatmigen Maßnahmen wurde keine langfristige Integration. Doch statt andere, längere Wege zu wählen, wird offenbar das Ziel fallengelassen.
Arbeiten und dazugehören!
Im geordneten Rückzug wird die Gruppe der "schwer vermittelbaren" Langzeitarbeitslosen stillschweigend abgestellt: Zuerst wurden 2010 mit dem Sparpaket der Bundesregierung auf mehrere Jahre die Finanzmittel für aktive Arbeitsmarktmaßnahmen der Jobcenter drastisch reduziert. Dann hat 2012 die Instrumentenreform die Einsatzmöglichkeiten einer öffentlich geförderten Beschäftigung für langzeitarbeitslose Menschen kleingearbeitet. Die Politik hat offenbar Kraft und Willen verloren, den Menschen mit den geringsten Chancen am Arbeitsmarkt vernünftige Perspektiven in Arbeitsleben und Gesellschaft zu eröffnen. Ohne politische Ziele braucht es auch keine Zielsteuerung durch die Verwaltung.
Passanten auf der Düsseldorfer Königsallee blicken auf die Pappfiguren der Aktion "Stell mich an, nicht ab!"Manfred Höges / SKM gGmbH Düsseldorf
Wir dürfen jedoch Hunderttausende von Bürgerinnen und Bürgern nicht abhängen vom Zugang zu Teilhabe, Anerkennung, Selbstachtung, Kontakten sowie einer Zeit- und Sinnstruktur! Arbeitsmarktferne Menschen müssen endlich zu einer priorisierten Zielgruppe einer ehrlichen und glaubwürdigen Sozialpolitik werden. Die Caritas hat differenzierte Vorschläge für die Neugestaltung einer sozialen Arbeitsmarktpolitik vorgelegt und die Programmatik genannt: Arbeiten und dazugehören!
Eine Kernforderung ist die Neubestimmung der öffentlich geförderten Beschäftigung mit Mitteln und Möglichkeiten, die konsequent auf eine begrenzte Zielgruppe ausgerichtet werden. Es sollen von Restriktionen befreite sinnvolle Integrationsjobs für die arbeitsmarktfernsten Menschen und verlässliche Beschäftigungszuschüsse angeboten werden, die allen Arbeitgebern offenstehen und auch in sozialen Beschäftigungsbetrieben umgesetzt werden.
Die Parteien sollen Farbe bekennen und sagen, welche Ideen sie für die Teilhabe der Menschen haben, die wir "arbeitsmarktfern" nennen, die aber irgendwann "gesellschaftsfern" sind, wenn wir zulassen, dass sie abgehängt und abgeschrieben werden. Sowohl Handeln als auch Unterlassen hat Auswirkungen für die betroffenen Menschen – aber es wirkt auch auf uns, die Gesellschaft als Ganzes, zurück.